Im Juni 2016 haben die ersten Teilnehmerinnen des Futurum NRW Projekts, Olcay Aydin und Güzide Akbas ihre Fortbildung zur Betreuungsassistenz erfolgreich abgeschlossen. Träger des Projektes Futurum NRW Dortmund sind die gGiD mbH – gemeinnützige Gesellschaft für interkulturelle Dienstleistungen mbH und EWEDO GmbH Dortmund.
Seit Juli 2015 verfolgt das Projekt das Ziel, MigrantInnen im Pflegebereich in Ausbildung oder Qualifizierung zu bringen und ihre Beschäftigung zu sichern. Mit zahlreichen Aktivitäten in Migrantenorganisationen, Integrationskursen und über weitere Netzwerkpartner konnten bis Juli 2016 45 TeilnehmerInnen für das Projekt Futurum NRW gewonnen werden.
Mit zwei der Teilnehmerinnen, Frau Olcay Aydin und Frau Güzide Akbas, die nach 3,5 Monaten ihre Fortbildung zur Betreuungsassistentin nach §87b abgeschlossen haben, haben wir ein Interview geführt. Frau Olcay Aydin hat in der Türkei ihr Studium zur Betriebswirtin abgeschlossen. Nach ihrem Studium hat sie in diesem Bereich kurz gearbeitet. Nach ihrer Heirat ist sie nach Deutschland eingereist und hat sich hier niedergelassen. Sie ist Mutter von zwei Kindern. Nach der Familienphase hat sie nach einer beruflichen Perspektive gesucht. Frau Güzide Akbas ist nach ihrer Heirat nach Deutschland eingereist. Sie ist Mutter von zwei Kindern. Sie wollte sich neu orientieren und einen Beruf erlangen. Im Interview haben sie dargestellt, welche Gefühle und Gedanken sie in der Fortbildungszeit begleitet haben.
Olcay Aydın
Wie bist Du zu der Fortbildung gekommen?
Olcay Aydin: Eigentlich hatte ich gar keine Ahnung über die beruflichen Möglichkeiten im Pflegebereich. Durch die Mitarbeiterinnen des Futurum Projektes habe ich die notwendigen Informationen hierzu bekommen. Nach einer Woche Einstiegspraktikum in der städtischen Senioreneinrichtung in der Schützenstraße habe ich gemerkt, dass mir diese Arbeit gefällt.
Du hast in der Türkei die Universität absolviert. Warum hast Du Dich für einen ganz anderen Bereich entschieden?
Olcay Aydin: Ich wollte möglichst schnell eine Qualifizierung machen, die mich befähigt in diesem Bereich in Teilzeit zu arbeiten. Das war mit der Qualifizierung zur Betreuungsassistentin möglich. In dem vier-wöchigen Abschlusspraktikum habe ich gesehen, wie hilfreich und notwendig meine Arbeit ist. Ich half älteren Menschen. Sie waren sehr zufrieden und haben mir ein Lächeln geschenkt. Sie waren glücklich und das machte mich auch glücklich.
Als Du Dich für diesen Beruf entschieden hast, hast Du das oben geschilderte je bedacht?
Olcay Aydin: Nein, anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, was das mit mir macht. Meine Umgebung sagte sogar, dass diese Arbeit sehr schwer ist und ich dies nicht machen könnte. Ich hörte immer wieder aus meiner Umgebung, dass der Umgang mit Dementen sehr schwer ist. Anfangs hatte ich schon Zweifel, ob ich das wirklich schaffe. Mit dem Praktikum und der Qualifizierung habe ich einen guten Eindruck gewonnen und bin eingestiegen. Wenn ich zum Beispiel in das Zimmer eines Kranken gegangen bin und sie mir ihre Fotos gezeigt haben, habe ich mich wie in einem Zeittunnel gefühlt. Während ich mir die Bilder anschaute und sie mir erzählten, was sie gemacht haben, sah ich ihre Jugendzeit und nun die heutige Zeit, dann konnte ich den Wert meines eigenen Lebens zum ersten Mal verstehen. Das änderte meine Einstellung zum Alt werden. Ich fing an zu denken, dass ich auch eines Tages alt werde und wie wichtig mein Leben ist.
Konnten sich die Menschen in Deiner Umgebung, als sie Dir sagten, Du sollst diesen Beruf nicht machen, vorstellen, dass sie auch eines Tages selbst Alt werden?
Olcay Aydin: Ich sehe in der Arbeit, dass auch die Menschen in der Gesellschaft, die Karriere gemacht haben wie Ärzte und Rechtsanwälte, im Alter hilfsbedürftig sind. Du siehst, dass auch Menschen, die aus einem ganz tollen Leben kommen, nun alleine in einem Zimmer und abhängig von anderen sind. Dann fängst Du an, alles in Frage zu stellen.
Was kannst Du uns zur Fortbildung erzählen?
Olcay Aydin: Als Basis haben wir im Theorieunterricht verschiedene Krankheitsbilder im Alter gelernt. Im zweiten Modul ging es um Kommunikation. Zum Beispiel Spiele und Biographiearbeit.
Habt Ihr Euch während des Praktikums, um Menschen nur mit Demenz oder um alle pflegebedürftigen Menschen im Seniorenheim gekümmert?
Olcay Aydin: Wir haben uns um alle gekümmert. In der ersten Praktikumswoche, der Kennlernwoche, haben wir die Namen der Patienten und ihre Krankheiten kennen gelernt. Die Kommunikation mit den älteren Menschen war abhängig von der Situation und dem jeweiligen Krankheitsbild. In der zweiten Woche fing ich mit der therapeutischen Kommunikation direkt am Patienten an. Ich hatte 15 Personen. Mit den älteren Patienten habe ich Gedankenspiele und Bewegungsspiele gemacht.
Kannst Du diesen Beruf Deinen Mitmenschen weiter empfehlen?
Olcay Aydin: Ja, wenn das ein Mensch mit einem freundlichen auftreten, lächelndem Gesicht, offen ist und die Kommunikation mit Menschen liebt, dann kann ich diesen Beruf weiter empfehlen. Wenn sie gerne älteren Menschen helfen und glücklich machen wollen, ja, dann kann ich das empfehlen.
Kann man sagen, dass Du mit diesem Beruf einen neuen Blickwinkel gewonnen hast?
Olcay Aydin: Ja, es hat meine Meinung auf das Leben grundlegend geändert. Ich habe etwas mehr den Wert des Lebens verstanden. Man lernt, die Gesundheit und den Wert der vergangenen Jahre mehr zu schätzen. Die älteren Menschen haben mich geliebt. Und das war ein schönes Gefühl.
Denkst du daran, in diesem Bereich Karriere zu machen?
Olcay Aydin: Ja, auf jeden Fall denke ich daran!
Güzide Akbas
Frau Güzide Akbas Du hast Deine Ausbildung und Dein Praktikum beendet. Und Du bist von Deiner Praktikumsstelle eingestellt worden. Was kannst Du uns über den „Beruf“ Betreuungsassistenz erzählen?
Güzide Akbas: Über diese Ausbildung und das Futurum Projekt habe ich auf einer Infoveranstaltung in der „Anadolu Moschee“ erfahren. Ich habe überlegt, ob ich das schaffen würde. Nach dem einwöchigen Einstiegspraktikum habe ich mich dafür entschieden. Das ist ein Beruf, der gut zu mir passt.
In der Gesellschaft wird dieser Beruf oft mit der Altenpflege verwechselt. Hast Du auch in Deiner Umgebung verschiedene Äußerungen gehört, das nicht zumachen?
Güzide Akbas: „Du kannst die Alten nicht hochheben, die sind schwer. – Das ist eine dreckige Arbeit. – Du kannst nicht ihre Binden wechseln! – Das ist eine schwere Arbeit.“ Ich habe großen Respekt vor dieser Arbeit und vor denen, die diese Arbeit machen. Der Betreuungsassistent hat andere Aufgabeninhalte- und -bereiche
Was ist das Deiner Meinung nach für ein Beruf?
Güzide Akbas: Ein Beruf, in dem es darum geht, Kommunikation mit den älteren Menschen aufzubauen und ihre Kommunikationsfähigkeit zu pflegen. Man muss ein freundliches, Lächeln im Gesicht haben. Wir sind eigentlich diejenigen, die Freizeitgestaltung der Menschen gestalten. Wir müssen mit ihnen etwas machen, damit das Leben nicht langweilig für sie wird.
Wie sah Eure Ausbildung aus?
Güzide Akbas: Während wir verschiedene Krankheiten im Alter wie Schlaganfall, Herzinfarkt behandelt haben, haben wir auch Unterricht in Kommunikation erhalten. Wir haben z.B. theoretischen Unterricht bekommen, wie man erkennt, dass jemand eine Lähmung erlitten hat oder eine Demenz hat.
Du hast das Glück gehabt, dass die Einrichtung, in der Du Dein Praktikum absolviert hast, dich eingestellt hat. Was hast Du alles in dem 20-tägigen Praktikum gemacht?
Güzide Akbas: Meiner Meinung nach war jeder Tag anders schön. Ich habe alles, was ich am Tag gemacht habe, zu Hause aufgeschrieben. Mir hat es sehr gefallen. In den ersten Tagen habe ich eine Frau kennen gelernt. Sie war sehr fit, aber saß im Rollstuhl. Sie war mal Schneiderin. Eines Tages hatte ich eine Weste an, die ich nicht zumachen konnte. Ich hatte sie mit einer Anstecknadel zugemacht. Sie meinte, dass diese Nadel sehr gefährlich sei und mich stechen könnte. Sie brachte aus ihrem Zimmer ihre Nähbox mit und hat an meiner Weste eine Schleife genäht. Wir beide waren zufrieden. Deswegen ist eine Kommunikation zwischen uns entstanden. Als Dankeschön habe ich ihr ein Geschenk gegeben. Bei der Einstellung hatte sie auch eine wichtige Rolle. Sie ist zu den Verantwortlichen gegangen und hat sich für mich eingesetzt.
Bei einer anderen Aktivität haben wir mit den kranken Patienten zusammen gekocht. Es kamen aus dem Kindergarten Kinder zu Besuch. Und wir tanzten gemeinsam mit den Älteren. Es hat viel Spaß gemacht. Wir haben gebastelt. Ich habe zu Hause aus den Kartoffeln Stempel vorbereitet für den Kartoffeldruck. Thema war Frühling. Wir haben mit Wasserfarben gemalt und mit den Kartoffeln gebastelt. Es hat sowohl ihr als auch mir sehr viel Spaß gemacht.
Was würdest Du denjenigen empfehlen, die gerne diesen Beruf machen wollen?
Güzide Akbas: Meiner Meinung nach müssen sie sich in erster Linie gerne um alte Menschen kümmern wollen. Einer, der ein langes Gesicht macht und immer wieder lamentiert, sollte nicht diese Arbeit verrichten.
Dr. Gürsel Ҫapanoglu
(Echo Vielfallt Nummer:3, 2016)